A&M Spotlight Handel und Konsumgüter

Im A&M Spotlight beleuchtet das Team von A&M regelmäßig aktuelle Entwicklungen und Trends in der Branche. Dabei stehen die Interpretation von Konsumentenverhalten und die Ableitung relevanter Impulse für Unternehmensentscheider im Vordergrund, um Orientierung und Denkanstöße für die Bewertung von Marktentwicklungen zu bieten.

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Das Konsumparadoxon 

Warum junge Konsumenten Nachhaltigkeit fordern und trotzdem Shein und Temu lieben.


2025 ist kein Jahr der Verweigerung. Es ist ein Jahr der Widersprüche. Junge Käuferinnen und Käufer haben einen ausgeprägten Wunsch nach Nachhaltigkeit[1] und bestellen gleichzeitig bei Shein und Temu [2]. Sie sprechen über den CO₂-Fußabdruck, finden aber die beiden chinesischen Plattformen nicht zuletzt wegen der günstigen Preise höchst attraktiv [3]. Zwischen Haltung und Handlung liegt manchmal ein Graben, den kein Greenwashing überbrücken kann.

Überspitzt formuliert darf man sagen: Moral bestimmt das Denken, der Preis das Handeln.

1. Werte mit Widerspruch

Nachhaltigkeit ist in den Köpfen angekommen. Laut Postbank-Studie achten 72 Prozent der 16- bis 18-Jährigen beim Online-Shopping „immer oder gelegentlich“ auf entsprechende Kriterien [4]. 80 Prozent der Jugendlichen halten Klimaschutz für wichtig, 57 Prozent sind sogar bereit, dafür ihren Lebensstandard einzuschränken [5].

Doch die Realität sieht anders aus. Dieselben Altersgruppen geben im Schnitt 167 Euro pro Monat online aus [6] – ein Rekordwert für Teenager. Die meistgekauften Kategorien: Mode, Schuhe, Elektronik. Der Preis entscheidet häufiger als das Prinzip.

Eine Kantar-Untersuchung zeigt, dass zwar 54 Prozent schon mal eine Marke wegen negativer ökologischer/sozialer Wirkung abgelehnt haben und sogar 85 Prozent nachhaltiger konsumieren wollen – aber nur 29 Prozent verhalten sich entsprechend [7].

Sind also Preis und Bequemlichkeit Hauptbarriere für konsequent nachhaltiges Shoppen? Zwischen Anspruch und Alltag klafft jedenfalls ein messbarer „Intention–Action Gap“.

2. Die Temu-Generation

Temu und Shein stehen sinnbildlich für diesen Widerspruch: billig, grenzenlos, bequem. Ihr gemeinsamer Deutschlandumsatz lag 2025 nach einer Schätzung des Handelsverbandes HDE bei rund 3,3 Milliarden Euro [8] – ein Plus im zweistelligen Bereich. Vor allem bei jungen Zielgruppen sind die beiden Plattformen sehr beliebt, wie die IBI-Konsumentenstudie 2024 zeigt [9].

Damit wächst eine Käufergeneration heran, die einerseits nach Authentizität und Purpose verlangt und andererseits Marken unterstützt, deren Produktionsketten selbst minimale ESG-Standards sprengen.

Das ist kein Zynismus, sondern Realität. Wer wenig verdient, kauft, was er sich leisten kann. Junge Menschen sind finanziell unter Druck, moralisch überfordert und digital maximal verführt. 54 Prozent der 16- bis 18-Jährigen haben in den letzten sechs Monaten ein Produkt gekauft, weil ein Influencer es beworben hat [10]. 2020 waren es noch 41 Prozent [11].

Social Commerce schlägt Gewissen.

3. Wähle deine Kämpfe

Marken, die sich an junge Konsumenten wenden, müssen eine Entscheidung treffen: Wollen sie in den Preiskampf ziehen – oder das Spielfeld wechseln? Temu und Shein sind nicht zu bezwingen in einem Spiel, dessen Regeln sie selbst geschrieben zu haben scheinen. Erfahrenen Marktbeobachtern drängt sich der Schluss auf, dass strukturelle Kostenvorteile, fehlende ESG-Standards und globale Skaleneffekte sie unschlagbar günstig machen.

Für europäische Anbieter heißt das: Nicht billiger werden, sondern besser. Effizienter wirtschaften, um sich ein glaubwürdiges Werteversprechen leisten zu können. Und dieses Versprechen muss mehr sein als ein Label: Es muss überprüfbar, nachvollziehbar und für den Kunden spürbar sein. Nur wer beides vereint – operative Effizienz und echte Sinnstiftung – kann das Vertrauen dieser von Ambiguität geprägten Konsumentengeneration gewinnen.

Am Ende geht es darum, welche Schlacht man schlagen will: die um den niedrigsten Preis – oder die um langfristige Relevanz.

 

Nachhaltigkeit als Balanceakt:

Awards
Awards

Nicht jede Dissonanz bei Konsumenten ist Heuchelei – manchmal ist sie einfach nur Ökonomie. Wir betrachten keine verlogene Generation. Wir erleben eine überforderte. Junge Konsumenten wollen nachhaltig handeln, aber der Markt macht es ihnen schwer. Wer sie erreichen will, muss beides verstehen: den moralischen Anspruch und die wirtschaftliche Realität.

Philip Beil
Managing Director

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[2] IBI Research (Universität Regensburg), Drittstaatenhändler und ihr Einfluss auf den deutschen Handel – Exemplarische Betrachtung anhand der beiden Plattformen Temu und SHEIN, September 2024

 

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